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 Betreff des Beitrags: In den Jahren des Krieges
BeitragVerfasst: Mo 20. Jan 2020, 17:57 
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Registriert: So 13. Apr 2008, 16:03
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In seinem 2011 erschienenen Buch „Sta chrónia tou polémou: Olympos kai Olympítes 1939–1947 [In den Jahren des Krieges: Olympos und Olympiten 1939-1947]“ berichtet Manólis Makrís über die italienische und deutsche Besatzung des Ortes Olympos auf Karpathos. Der von ihm selbst verfasste Text wird ergänzt durch Erzählungen von Olympiten über ihre Erlebnisse, die er mit einem Tonbandgerät aufgenommen hat und in dem Buch wiedergibt.

Hier gehe ich auf Kapitel 20 des Buches ein, das den Titel „Sie holen die Männer!“ trägt.

„Ich könnte eine lange Reihe von Erzählungen für jene zwei – drei dramatischen Tage anführen, als die deutschen Behörden die Zusammenkunft aller Männer von Olympos in Finiki befahlen. Sie sagten ihnen nicht, aus welchem Grund sie sie haben wollten, und es hieß, dass sie sie von dort mit einem Schiff in unbekannte Richtung brächten. Alle, die jene Tatsachen erlebten – und es erlebte sie die gesamte Bevölkerung des Dorfes – beschreiben sie in den schwärzesten Farben.
In ihrer Einfachheit geben die Erzählungen auf dramatische Weise den psychologischen Zustand wieder, der an jenem Tag herrschte, als die Männer weggingen. „Nie soll ein Mensch eine solche Stunde nochmals erleben!“ sagen die Erzähler, als sie sich die verzweifelten Frauen mit aufgelöstem Haar, das Wehklagen und Jammergeschrei, vergegenwärtigen.
Es war eine unbeschreibliche, eine erschütternde Erfahrung, die Olympos so noch nie durchgemacht hatte während der gesamten Dauer seiner bekannten Geschichte.“

Es ist bis heute nicht geklärt, warum die Deutschen fast die gesamte männliche Bevölkerung von Olympos wegholten und warum das Unternehmen schließlich aufgegeben wurde. Die bei den Olympiten vorherrschende Meinung ist, dass die Männer als gute Handwerker für Zwangsarbeiten auf Kreta oder in Deutschland herangezogen werden sollten, und dass die Schiffe, die für den Transport vorgesehen waren, im letzten Moment von der Royal Air Force versenkt wurden, die durch das Funkgerät des alliierten Spionagetrupps, der damals schon auf Karpathos im Einsatz war, verständigt worden ist. So wurde der Transport der Männer vereitelt; sie wurden freigelassen und konnten wieder nach Olympos zurückkehren. Die Behauptung des deutschen Offiziers Hans Vogeler, die Requirierung der Männer sei nur zur Errichtung von Befestigungsanlagen auf der Insel Karpathos selbst erfolgt, ist wenig überzeugend und steht im Widerspruch zur Zeugenaussage von Pfarrer Konstantínos I. Chalkiás aus Spoa. Denn als am 5. Oktober 1943 ein deutsches Flugzeug am Agnontia-Strand (in der Nähe von Spoa) abstürzte, ging er selbst an die Absturzstelle und sah im Sand den Postsack des Flugzeuges mit der Aufschrift „Geheim“ liegen. Er öffnete unbemerkt den Postsack, nahm die enthaltenen zwei Briefe heraus und legte den Sack zurück in den Sand. Als er allein war, öffnete er den Brief, der in italienischer Sprache war und der die Anweisung enthielt, nahezu alle Männer von Karpathos an bestimmten Stellen zu versammeln, wo sie von Schiffen aufgenommen würden. Der junge Konstantínos Chalkiás übergab den Brief seinem Vater, der ohne jede Verzögerung die Widerstandsgruppe auf dem Lástos über den Inhalt informierte. Diese habe dann das alliierte Einsatzzentrum in Kairo informiert, welches Flugzeuge losschickte, die die Schiffe versenkten, die gerade von Kreta aufgebrochen waren. Die Männer von Karpathos, die sich schon an den zugewiesenen Versammlungsorten eingefunden hatten, wurden dann von den Deutschen freigelassen, weil es keine Beförderungsmöglichkeit gab.

„Frauen, die damals 6 – 7 Jahre alt waren, sprechen heute über dieses traumatische Erlebnis, und man kann heute noch, nach so vielen Jahrzehnten, den Schrecken in ihren Augen erkennen. Olympos erlebte einen furchtbaren Augenblick in der Stunde, wo jene erwachsenen Männer ein Stück Brot in ihren Rucksack steckten und ihre Tränen zu unterdrücken versuchten, ihren Frauen die letzten Anweisungen gaben und ihre Kinder küssten ohne zu wissen, ob sie diese wiedersehen würden … Und dann nahm die Karawane von mehr als 250 Olympiten den Weg in die unteren Dörfer, ein Wehgeschrei, ein schluchzendes Klagelied war in ganz Olympos und in Diafani zu hören“, schreibt Manólis Makrís. „Was wollten die Deutschen mit ihnen? Es scheint unglaublich, entsetzlich würde ich sagen, dass die Nazis die männliche Bevölkerung von Karpathos ausrotten wollen. […] Doch jenseits der Absichten jener schrecklichen und skrupellosen Eroberer, unabhängig davon, was ein zukünftiger Historiker schreiben wird, das, was unauslöschlich im Gedächtnis aller eingeprägt ist, auch der Kinder, die damals gerade anfingen, die Welt zu verstehen, ist der Schrecken, die Sorge, die Verzweiflung sowohl jener, die weggingen ohne zu wissen, ob sie zurückkehren würden, wie auch ihrer Familien, die in einem traurigen Dorf, einem Dorf ohne Männer, zurückblieben“.

Aus den zahlreichen Augenzeugenberichten des Buches füge ich nur eine kleine Auswahl bei.

Die Erzählung von Konstantínos I. Chalkiás

An dem Tag, an dem ich zum Flugzeug ging, lag der geheime Postsack weggeschleudert neben dem Flugzeug, verschmutzt und geschwärzt vom Rauch des Feuers des Flugzeugs. Gleich als ich ihn und die Aufschrift „GEHEIM“ sah, öffnete ich ihn im Nu und ohne dass mich jemand sah, und nahm die beiden Briefe, die er enthielt; den Sack selbst ließ ich dort, wieder verschlossen und hingeworfen nahe dem Flugzeug und an der Stelle, wo er gewesen war. Diesen Postsack transportierte das Flugzeug von dem damals von den Deutschen besetzten Kreta zum deutschen Hauptquartier auf Karpathos mit schlimmer Absicht für die gesamte männliche Bevölkerung der Insel.
Als ich allein war, sah ich mir die beiden Briefe an. Der eine war auf deutsch geschrieben und der andere auf italienisch. Ich las ihn, mit dem wenigen Italienisch, das ich damals konnte, und sah, dass das deutsche Hauptquartier auf Karpathos angewiesen wurde, die Konzentrierung der gesamten karpathischen männlichen Bevölkerung im Alter von 18 bis 75 Jahre in Arkássa anzugehen, mit Ausnahme der Priester, der Lehrer, der Dorfvorsteher und der Ärzte. Die von Olympos, Spóa, Mesochóri, Pylés und Othos sollten sich nach Arkássa begeben. Die aus den Dörfern Voláda, Apéri, Pigádia und Menetés zum Hafen von Pigádia und von dort ohne Verzögerung nach Arkássa. Und der Brief ging weiter, dass an jenem Tag unserer Konzentrierung in Arkássa von Kreta aus drei Schiffe kämen, in die die Bevölkerung einsteigen würde und, sobald man auf offener See wäre, würden diese torpediert und versenkt und zwar von den Deutschen selbst.
Sobald ich diesen Brief gelesen hatte, brachte ich am gleichen Abend die Briefe meinem Vater Papagiánni und dem äußerst verschwiegenen Vetter, dem Lehrer Geórgios Vas. Chalkiás, und jene leiteten diese nach wenigen Stunden weiter zu den auf dem Kalilímni versteckten Spionen, nämlich dem Christóforos Lytós aus Voláda und dem Funker Ioánnis Krasópoulos aus Samos für alles Weitere.
Die männliche Bevölkerung von Karpathos aber, nicht wissend, was sie erwartete und nicht in der Lage, anders zu handeln, kam an ihren festgelegten Plätzen am 14. März 1944 an. Und ich erinnere mich an jenen entsetzlichen Tag, welch ein Weinen, welches Wehklagen war zu hören von den trockenen Lippen und Mündern von uns allen. Für was wollen sie uns? Was werden sie mit uns machen? Wohin bringen sie uns, um uns zu töten? Dieses und vieles andere wurde von uns allen flüsternd gesagt, während aus unseren Augen unaufhörlich die Tränen flossen.
Aber welch ein Wunder! Die göttliche Rache kam. Sobald die deutschen Schiffe von Kreta mit dem Ziel Karpathos ausgelaufen waren, um ihren schlimmen Vorsatz auszuführen, hatte der auf Karpathos agierende Spionagetrupp unter Lytós und Krasópoulos bereits die alliierten Flugzeuge in Ägypten benachrichtigt und nach kurzer Zeit wurde ein deutsches Schiff nach dem anderen mit der ganzen Βesatzung zwischen Kreta und Kasos versenkt. Und so wurde die gesamte männliche Bevölkerung von Karpathos vor dem Tod gerettet.
Sobald die Nachricht des Untergangs und der Zerstörung dieser deutschen Schiffe ankam und während alle Leute schon in Arkássa angekommen waren, stellte sich vor uns der deutsche Oberleutnant Kraack auf, der später Kommandeur auf Leros war, welcher, nachdem er zuerst lächelte, uns durch seinen Übersetzer anwies, uns in Vierergruppen aufzustellen. Und nachdem er uns dankte für den Gehorsam, den wir gezeigt hatten und dass alle erschienen waren, grüßte er uns militärisch und wies uns danach an, in unsere Dörfer zurückzukehren. Und wir nahmen den Rückweg und dankten Gott für unsere Rettung.
Wer von den Überlebenden erinnert sich nicht daran? In wessen Gedächtnis hat sich dies nicht eingeprägt? Und warum verschweigen das die Schriftsteller bis heute?

Der Bericht von Nikolís Miná Balaskás

Sie brachten uns nach Finíki und dort riefen sie, wir sollten uns getrennt nach Hirten und Landwirten aufstellen. Ich ging dann mit den Hirten, unabhängig davon, dass ich nur wenig Tiere hatte. Aber in der Zwischenzeit war das Schiff versenkt worden, das uns abgeholt hätte, und sie ließen uns gehen.

Die Erzählung von Manolís M. Papamanólis

Sie nahmen alle Männer von 18 Jahren bis 60, das Dorf war leer. Sie hatten auch Avlóna, Saría, überall, benachrichtigt, dass sich alle versammeln sollen. Alle, die Maultiere hatten, waren verpflichtet, auch die Maultiere zu bringen.
Manche von uns, ich, Giórgis Avdellís, Jiánnis Nikítas und andere, wir hatten unsere Maultiere auf Saría. Als der Befehl zum Erscheinen kam und dass wir unsere Maultiere mitbringen sollten, gingen wir nach Saría, um unsere Maultiere überzusetzen. Wir fuhren mit dem Boot nach Jiáplo und gingen zu Fuß nach Argos, um die Tiere zu holen. Du verstehst, was dort vor sich ging, Wehklagen, Klagelieder, ich kann dir jene Szenen nicht beschreiben.
Wir brachten die Maultiere zur Meerenge am frühen Morgen, trieben sie hinaus, es kamen auch zwei, drei Frauen mit uns und riefen von dort die Maultiere und brachten sie zu Fuß zum Dorf.
Wir kamen nach Diafani, denn wir mussten das Boot bringen. Nikolís Asproúllis, mein Schwiegervater Nikolís und ein italienischer Zollbeamter, Damore, halfen uns, das Boot hochzuziehen und wir sind gleich aufgebrochen und ins Dorf gegangen.
Totenstille im Dorf. Du hörtest ein Weinen und sonst nichts. Wir gingen zum Sellái, alles verlassen, kein Kafénion offen, nichts. Die ersten waren schon nach Finíki gegangen.
Wir sind verspätet aufgebrochen, denn es hatte Zeit gebraucht, bis wir die Maultiere von Saría geholt hatten. Wir gingen bis nach Asía, wo in diesem Jahr ausgesät war, verbrachten dort den Abend und standen am nächsten Tag in aller Frühe auf, um den Weg fortzusetzen.
Doch sie hatten schon die ersten freigelassen und sie kamen herauf. Nikolís Balaskás sah uns und rief uns von weitem zu:
„He Burschen! Geht nicht hinab, sie haben uns freigelassen!“
Stellt euch unsere Freude vor. Ich belud dort das Maultier mit Linsen und kehrte um.
So kamen die Menschen damals davon. Doch von da an und danach nahmen sie die Männer hinab zum Arbeiten in Finíki und am Flugplatz.

Quelle:
Makrís, Manólis: Sta chrónia tou polémou : Olympos kai Olympítes 1939–1947. -
Ródos : Stégi Grammatón kai Technón Dodekanísou, 2011. - 619 Seiten
ISBN 978-960-85568-8-1

Dateianhang:
Arkassa_Haus_Kraack.jpg
Arkassa_Haus_Kraack.jpg [ 109.92 KiB | 5260-mal betrachtet ]

In diesem Haus in Arkassa wohnte Oberleutnant Kraack während der deutschen Besatzung von Karpathos. Er war für die Orte Arkassa, Finiki und Pylés zuständig.


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 Betreff des Beitrags: Re: In den Jahren des Krieges
BeitragVerfasst: Mo 20. Jan 2020, 19:49 
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Danke Karpathiote für den Beitrag. Da gibt es viel zum Nachdenken.
Grüße von Ursula


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 Betreff des Beitrags: Re: In den Jahren des Krieges
BeitragVerfasst: Mo 20. Jan 2020, 22:43 
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Danke für deinen Bericht Karpathiote.

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Gruß Schängel Koblenz
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