Eines Abends, es muss ein Freitag gewesen sein, sitze ich wie viele andere im Hafen-Café Remédzo in Erwartung eines Großereignisses, der Ankunft des größten hier anlegenden Schiffes, der Blue Star Patmos, die ich schon um ca. 6 Uhr bei ihrer Ankunft von Piräus her noch etwas schlaftrunken in dieser so klaren, durch nichts verdorbenen Morgenstimmung von meinem Balkon aus beobachtet hatte. Geh vorher ein paar Schritte vom Café aus zum Gebäude der Hafenpolizei hinter, es wundert mich, eine größere Menschenansammlung in der Dunkelheit unter den Tamarisken anzutreffen, mehrere Gruppen, insgesamt bestimmt 120 bis 150 Personen. Bald erkenne ich die Kopftücher der Frauen. Es sind Flüchtlinge, die hier angelandet sind, vielleicht in der kleinen Bucht von Skáfi, etwa 3 km nördlich von Megálo Chorió gelegen. Ein junger Mann hebt einen riesengroßen Plastiksack mit Trinkwasser drin an den Mund, nimmt einen großen Schluck.
Immer noch existiert am südöstlichen Ortsrand von Livádia, direkt beim Ortsfriedhof, dort, wo sich früher noch die kleine Kaserne befand, ein Flüchtlingscamp aus Containern und kleineren Häuschen, jedem sind zwei Baustellen-Toiletten-Kabinen angegliedert, geradezu paradiesische Verhältnisse im Vergleich zu Lésbos oder Léros, etc. Klein und irgendwie fein, ich hab es mir selber angesehen, da waren aber keine Menschen mehr zu sehen, oder die Verbliebenen haben noch geschlafen, denn es war noch Wäsche an Leinen zu sehen.
Das Schiff kommt an, die beiden Heckklappen werden runtergelassen, Leute und Fahrzeuge strömen aus dem Schiffsbauch. Und nach einer Weile setzt sich ein langer Zug von Menschen stillschweigend und demütig in Bewegung, zahllose kleine Kinder unter ihnen, ansonsten jüngere Männer und Frauen, sie sehen alle arabisch aus, einige vielleicht auch afghanisch, soweit ich das beurteilen kann.
Nun beginnt das Trauerspiel. Nicht etwa zu einem der beiden seitlichen Treppenaufgänge werden diese „Menschen zweiter Klasse“ geführt, nein, gleich geradeaus, mitten hinein zwischen die stinkenden, Abgase auspuffenden Laster und PKWs, genau in die Mitte des LKW-Decks, und da ganz weit hinter Richtung Bug des Fährschiffes. Mir bleibt echt die Spucke weg. Ob es ganz da hinten wohl einen fensterlosen Verschlag inmitten all der LKWs gibt, der diese armen Kreaturen aufnehmen wird? Muss wohl so sein, denn in diesem Bereich geht m. W. keine Treppe hoch in irgendeinen Passagierraum weiter oben. Erstmals muss ich mitansehen, was es bedeutet, wenn ein Land wie GR, längst total frustriert, eine permanente Schwachstelle der EU-Außengrenze darzustellen, seine Konsequenzen zieht und es den Asylsuchenden von Beginn an zeigt, wie unerwünscht sie hier sind. Und die anderen, zahlenden Passagiere sollen auf keinen Fall belästigt werden. Das Lager auf Tílos mag ja noch ganz ordentlich gewesen sein, sieht auch so aus, aber dieser Transport erinnert mich entfernt an die Fußmärsche der KZ-Häftlinge des Lagers Dachau unter erbärmlichen Bedingungen, die von den anrückenden Alliierten weg ins Rest-Reich getrieben wurden, auch wenn es bestimmt nicht ganz, nicht annähernd so schlimm ist, in diesem Fall heute Abend. Aber schlimm erscheint es mir allemal.
Einige deutschsprachige Feriengäste vor mir auf der Café-Terrasse munkeln was von einem großen Flüchtlingslager auf der Insel Léros oder in der Nähe von Athen. Sie scheinen das schon öfter miterlebt zu haben, sind schon etwas abgebrühter in dieser Hinsicht als ich es bin.
Martin
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